Die Wildbienen-Fans
- Veröffentlicht am

Sieht aus wie eine kleine, braune Kaffeebohne. Tom Strobl nimmt das knisternde Etwas vorsichtig in die Hand, bewegt es unter einem Kirschbaum langsam zwischen den Fingern. „Das ist der Kokon einer ausgewachsenen Mauerbiene. Darin wartet sie gut geschützt auf ihren Einsatz”, erklärt der Mitgründer des Wildbienen-Unternehmens Pollinature. Eines fasziniert den Schweizer Biologen dabei besonders: „Eine einzige Mauerbiene kann so viele Blüten bestäuben wie 300 Honigbienen”, sagt der 39-Jährige und blickt nach oben. Um ihn herum blühen die Kirschbäume einer Obstanlage in Ravensburg in strahlendem Weiß. Der gedeckte Tisch für Strobls Mauerbienen. Denn die lieben die Blüten von Kirschen, Aprikosen, Äpfeln, auch Birnen. Mauerbienen sind so scharf auf Obstblüten, dass sie in Obstanlagen von früh bis spät Pollen sammeln und dabei jede für sich tausende Blüten pro Tag bestäuben können. Obstbauern holen sich deshalb Gehörnte und Rote Mauerbienen von Pollinature in ihre Anlagen, um dort die Bestäubung zu verbessern und so Ertrag und Qualität zu steigern. Strobl holt sie kurz vor der Blüte aus dem Kühlraum und bringt sie zum Obstbauern, wo sie gleich darauf zu ihren Bestäubungsflügen starten.
Nicht nur in Obstanlagen werden die wilden Verwandten der Honigbiene dringend gebraucht. „Wildbienen sind unverzichtbar. Für die Landwirtschaft, aber auch für unsere Ökosysteme”, betont Dr. Claudio Sedivy. Er hat im Jahr 2013 gemeinsam mit Tom Strobl die Firma Wildbiene + Partner in Zürich gegründet, die Muttergesellschaft des Konstanzer Unternehmens Pollinature. Nach seiner Promotion an der ETH Zürich über Wildbienen war für den Biologen klar: Er will keine Hochschulkarriere. Er will sein Wissen und seine Faszination über Wildbienen mit so vielen Menschen wie möglich teilen. Und er möchte zeigen, dass hochwertige Lebensräume für seltene Wildbienenarten auch im Siedlungsraum geschaffen werden können.
„Das hier zum Beispiel”, sagt Sedivy, „ist für Wildbienen ein echtes Paradies mitten in Zürich.” Wir befinden uns im BeeParadise Haldenegg, wo der Biologe Claudio Sedivy aus einer Schmuddelecke zwischen Verwaltungsgebäuden eine 620 Quadratmeter große, sonnige Oase der Artenvielfalt geschaffen hat. Magere Böden, Wildstauden für spezialisierte Wildbienen, optimale Nisthilfen, markhaltige Stängel. Um die Blüten herum summen Wildbienen, Schmetterlinge und andere Insekten. „In unseren Wildbienenparadiesen haben sich innerhalb von nur drei Jahren über 100 verschiedene Wildbienenarten angesiedelt, darunter 21 gefährdete Arten”, freut sich Sedivy. Haldenegg ist eines von 18 Wildbienenparadiesen, die besonders gut in der Stadt funktionieren. „Viele meinen, im Grünen sei der Artenreichtum höher als in der Stadt. Dabei bieten Grünflächen in Städten oft bessere Lebensbedingungen für viele Tiere und Pflanzen”, versichert der 39-Jährige.
Muss man nicht ein bisschen verrückt sein, eine sichere Uni-Karriere einzutauschen gegen vollen Einsatz für Wildbienen? „Nein, verrückt ist das nicht. Es ist einfach nötig, jetzt gemeinsam mit der Bevölkerung eine Zukunft mit Wildbienen zu sichern”, sagt Claudio Sedivy, während eine große, schwarz schillernde Holzbiene an ihm vorbeifliegt. Sedivy beugt sich herunter und sieht dem beeindruckenden Tier zu, wie es sich einen Nistgang in einen morschen Stamm knabbert.
Der Wildbienen-Experte ist froh, dass sich mittlerweile herumgesprochen hat, wie wichtig diese Bestäuber für Mensch und Natur sind. „Viele Menschen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz unterstützen unseren Einsatz für Wildbienen, indem sie ein BeeHome mit Mauerbienen kaufen”, berichtet Sedivy. Dieses von Sedivy und Strobl entwickelte Wildbienen-Häuschen lässt Pollinature in sozialen Werkstätten in der Schweiz und Deutschland fertigen, damit jeder die Mauerbienen ganz aus der Nähe zu Hause beobachten kann.
Vieles hat sich geändert, seit Sedivy und Strobl vor sieben Jahren mit ihrer kleinen Firma anfingen, ihre wertvollen Schützlinge bekannt und beliebt zu machen. Aus dem Zwei-Mann-Unternehmen haben die befreundeten Biologen ein engagiertes Team aus derzeit über 30 Wildbienen-Freunden aufgebaut. Mit ein paar dutzend Mauerbienen zum Start haben sie zusammen mit der Bevölkerung über die Jahre eine summende Bestäubungsmannschaft aus mehreren Millionen Wildbienen vermehrt. Eins aber ist geblieben: die Begeisterung der Firmengründer für ein faszinierendes Insekt, das schon Dinosaurier umschwirrte und uns am besten noch lange erhalten bleibt.
Hintergrund
Pollinature: Wie wir Wildbienen fördern
Wildbienen-Förderung hat viele Gesichter. Wir von Pollinature ergänzen die vielen wichtigen Aktionen von Naturschützern und Privatinitiativen mit einem besonderen Ansatz.
Warum wir das tun?
Wir möchten möglichst viele Menschen für das Thema Wildbienen begeistern und sie zu echten Wildbienen-Freunden machen. Dieses Ziel wollen wir erreichen, indem wir Nistplätze, Lebensraum und Informationen bereitstellen:
In unseren BeeHomes nisten Mauerbienen und über 15 weitere Arten.
In den 19 Wildbienenparadiesen in der Schweiz siedeln sich auf einer Gesamtfläche von über einem Hektar viele verschiedene Wildbienenarten an und vermehren sich nachhaltig.
Auf Führungen und in Vorträgen bringen wir regelmäßig vielen Schweizer Naturfreunden das faszinierende Leben der Wildbienen näher.
In Obstanlagen sichern Mauerbienen die zuverlässige Bestäubung für bessere Ernten.
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.