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Koalitionsvertrag im Brenner-Check

Jetzt muss er reifen

Am 9. April haben Union und SPD ihren Koalitionsvertrag präsentiert. Was bedeutet die Vereinbarung der künftigen Regierungspartner für Unternehmen aus der Spirituosenbranche, vor allem für kleine und mittlere Betriebe?

von Christian Schrade/idea distillers erschienen am 15.04.2025
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Wird hier am Abend des 6. Mai angestoßen? 2018 schaute die Spirituosenbranche noch entspannter aufs Kanzleramt – wie hier bei der Whisky-Versteigerung des Zolls beim Fest zum Tag der deutschen Einheit.
Wird hier am Abend des 6. Mai angestoßen? 2018 schaute die Spirituosenbranche noch entspannter aufs Kanzleramt – wie hier bei der Whisky-Versteigerung des Zolls beim Fest zum Tag der deutschen Einheit. © Idea Distillers/Christian Schrade

Wird die Produktion bald günstiger? Bleibt Kunden mehr Geld für hochpreisige Spirits? Und wie verändern sich die Marktbedingungen? Darauf haben wir die 4.588 Zeilen des Entwurfs in den Blick genommen. Eine erste Analyse aus Brenner-Sicht.

Das Wichtigste zuerst

Was Sie hier lesen, kann morgen schon nicht mehr stimmen. Und das liegt nicht nur daran, dass die SPD-Mitglieder erst seit heute votieren oder es schon jetzt, wenige Tage später, den ersten Streit gibt (Stichwort: Mindestlohn). Der ganze Koalitionsvertrag trägt eine große unsichtbare Überschrift: „Schauen wir mal“. Zeile 1.627: „Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.“ Heißt: Ob das eine oder andere konkrete Projekt nun auch (finanziell) umgesetzt werden kann, wird sich erst im Verlauf der Legislatur zeigen. Das ist zwar immer so. Die Verhandler haben in diesem Koalitionsvertrag trotz umfangreicher Sonder-Milliarden aber ein besonders großes Fragezeichen hinter fast alle Vorhaben gesetzt. In der aktuellen – insbesondere außenpolitisch – heiklen Situation sollte es vor allem eins gehen: schnell.

So schätzen es die Verbände ein

Klimaorganisationen und Sozialverbände haben zu recht viel Grund zu Unmut. Bei Wirtschaftsvertretern sieht es anders aus. Würde es nach traditioneller deutscher Feedback-Kultur gehen („Nicht gemeckert ist Lob genug“), müsste der Koalitionsvertrag in deren Augen eigentlich golden glänzen. Die erste Meinung von vielen Wirtschaftsverbänden: „Licht und Schatten“, grundsätzlich gehe es in die richtige Richtung, an manchen Stellen hätte man sich mehr Mut gewünscht …Ampelartige Alarmkritik klingt anders.

„Mit finanziellen Entlastungen der Unternehmen, weniger Bürokratie, Investitionsanreizen sowie wettbewerbsfähigen Energiepreisen und Bekämpfung des Fachkräftemangels werden viele wichtige wirtschaftspolitische Prioritäten im Koalitionsvertrag angesprochen, die auch der Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure e. V. (BSI) begrüßt“, sagt deren Geschäftsführerin Angelika Wiesgen-Pick. Für den Verband wichtig: Wirtschaftlich und politisch stabile verlässliche Rahmenbedingungen für ein faires Marktumfeld und vor allem Planungssicherheit für den Mittelstand und die Spirituosenindustrie.

Vom Deutschen Brauer-Bund wird die Vereinbarung „insgesamt positiv“ gewertet. Steuererleichterungen kämen zwar zu spät, sonst aber viel Lob, Zustimmung zu Bürokratieabbau, Gastro-Unterstützung und einiges mehr. Nur: Schnell soll es nun gehen. „Jetzt kommt es darauf an, dass die neue Regierung ihr Programm zügig umsetzt“, sagt z. B. Holger Eichele vom Brauer-Bund. „Schnelle Handlungsfähigkeit, Pragmatismus und Entbürokratisierung“ wünscht man sich auch beim BSI. Dem schließen sich zahlreiche andere Wirtschaftsverbände an. Für die Stiftung Familienunternehmen und Politik kommen laut Magazin „Markt und Mittelstand“ insbesondere die Steuersenkungen für Firmen zu spät. Diese stünden jetzt im Wettbewerb, nicht erst ab 2028.

Aus Sicht der Kleinbrenner fehlt außerdem ein wichtiger Aspekt: Die Kontingenterhöhung von 300 auf 500 Liter reinen Alkohol jährlich hat es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft.

Die großen Brocken

1. Bürokratieabbau:

Für die Wirtschaft wird dieser noch sehnsüchtiger erwartet als Energiepreissenkung und Steuererleichterungen. Dass es hier an vielen Stellen weniger kompliziert werden soll, weniger Dokumentationspflichten, weniger aufwendige Antragsverfahren geben soll, das ist eines der großen Signale der zukünftigen Regierung an die Unternehmen. Das Ziel: Die Bürokratiekosten für die Gesamtwirtschaft sollen um 25 Prozent sinken (Zeile 1943 im Koalitionsvertrag). Allein auf die Landwirtschaft bezogen nimmt der Bürokratieabbau mit 18 Zeilen exakt so viel Platz ein wie das ganze Kapitel Klimaschutz. Um fair zu bleiben: Einzelne klimarelevante Vorhaben sind zusätzlich im Text verstreut.

Konkret soll es z. B. gerade für kleine und mittlere Unternehmen weniger Verpflichtungen beim Thema Betriebsbeauftragte geben, dazu weniger Aufwand bei Schulungen, Weiterbildungen und Dokumentationen (Zeilen 1905 fortfolgende). Das soll im Zuge eines Sofortprogramms noch dieses Jahr umgesetzt werden. Zudem sollen die Statistikverpflichtungen für Unternehmen überprüft werden. Gerade für Brennereien relevant: Das „Gesetz über die Statistik im produzierenden Gewerbe“ wird ebenfalls unter die Lupe genommen (Z. 1924). Das gilt derzeit ab 50 Mitarbeiter im Betrieb, kleinere Unternehmen werden häufig für Stichproben verpflichtet. Zudem sollen die §§ 126 ff. im Bürgerlichen Gesetzbuch vereinfacht werden (2781f). Da geht es u. a. darum, welche Form ein Vertrag erfüllen muss (schriftlich, digital, Notar nötig etc.). Hier soll es digitaler werden.

Und: Die Koalition will sich dafür einsetzen, dass kleine und mittlere Unternehmen wieder von der Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) ausgenommen werden (2103ff) – Sie wissen noch, der große Aufreger aus dem Jahr 2018. Beim Thema Steuerbürokratie gibt es zumindest für Unternehmen keine explizit erwähnte Absichtserklärung. Da liegt der Fokus auf den Arbeitnehmern (1523ff). Kommen wird aber die EUDI-Wallet (European Digital Identity Wallet), eine Art EU-weite digitale Brieftasche, die es auch für Unternehmen gibt (1805ff). Die ist bereits in Arbeit, also keine Idee der künftigen Koalition. „Behördengänge“ für Unternehmer sollen so einfacher werden. Das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ soll ersetzt werden (1909ff), das gilt aber derzeit sowieso nur ab 1.000 Mitarbeitern. Einfacher wird es hier perspektivisch wohl für größere Zulieferer (Rohstoffe, Verpackung etc.) oder Spirituosenkonzerne.

2. Investitionen:

Hier soll es zwar keine Bazooka geben – Merz wird ja Kanzler, nicht Scholz – aber immerhin einen „Booster“. „Degressive Abschreibungen auf Ausrüstungsinvestitionen“ von 30 Prozent sollen in den Jahren 2025, 2026 und 2027 möglich sein (1430f). Das greift also schnell. Das Ziel: Unternehmen sollen schneller mehr Steuern sparen, dadurch über mehr Liquidität verfügen und so mehr investieren wollen, z. B. in Maschinen und Werkzeuge, Fahrzeuge, Computer, Büroausstattung etc. Richtig viel würde das bei neuen Brennblasen bringen. Mit Lieferengpässen durch riesige Mengen an Bestellungen rechnet Michael Holstein vom Destillieranlagen-Hersteller Arnold Holstein nun zwar nicht, aber: „Wir erhoffen uns zunächst einmal insgesamt eine Konjunktursteigerung durch die Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag. Nur wenn es den Brennern wirtschaftlich besser geht, investieren die auch in neue Anlagen von uns.“ In den vergangenen Jahren habe man schon gemerkt, dass die Bestellungen von Kleinbrennern im Vergleich z. B. zu Auslandskunden merklich zurückgingen. Bei Holstein hofft man, dass sich das jetzt ändert.

Steuern: Die sinken für Unternehmen, aber erst in zweieinhalb Jahren. Da geht es wohl eher um das Signal von Verlässlichkeit. Das wird aber ebenfalls dringend gebraucht. Ab 2028 reduziert die Koalition die Körperschaftsteuer um je einen Prozentpunkt – in fünf Schritten. Ob das einmal im Jahr passiert oder z. B. in Halbjahresschritten steht noch nicht im Vertrag (1432ff).

Zudem soll das Optionsmodell verbessert werden (1436ff). Das ist vor allem für Kleinbrenner interessant, von denen viele die Rechtsform des Einzelunternehmers gewählt haben oder Teil einer GbR sind. Das ist für viele Brenner in der Praxis die einfachere Unternehmensform (keine Bilanzierungspflicht, fällt nicht unter GmbH-Gesetz etc.). Sie versteuern ihre Gewinne aber nach Einkommenssteuer, es zählt also ihr persönlicher Steuersatz (je nach Gewinnhöhe bis zu 45 %). Kapitalgesellschaften wie die GmbH zahlen Körperschaftsteuer, derzeit einheitlich 15?% in Deutschland. Diese steuerliche Ungleichberechtigung hat Nachteile für die Kleinen. Das Optionsmodell (§ 1a KStG) ermöglicht schon jetzt, auf Wunsch lieber Körperschafts- als Einkommensteuer zu bezahlen. Diese Option soll offensichtlich einfacher gestaltet werden.

Konkretes im Blick

Ausformuliert haben Union und SPD viele Vorhaben nicht, dafür blieb keine Zeit und dafür ist ein Koalitionsvertrag auch nicht da. Einige recht konkrete Formulierungen, die Brenner relevant sind, haben es aber dennoch in den Vertragsentwurf geschafft. Eine Übersicht.

Unternehmensführung

Dokumentationspflichten: Gute Nachricht! Die sollen abgebaut werden. Unter anderem sollen „Normen und Standards mittelstandsgerecht“ (337), Nachweise für Fördermittel einfacher werden. Darüber hinaus drückt die Koalition bei neuen Statistik-Pflichten auf die Pause-Taste. Mindestens zwei Jahre soll bei gewissen neuen Statistiken Schluss sein (welche steht nicht drin). In der Zeit soll alles auf den Prüfstand (340ff). Außenhandelsstatistikgesetz, Gesetz über die Statistik im produzierenden Gewerbe und Handels- und Dienstleistungsstatistikgesetz werden definitiv überprüft (1923ff). Dass es weniger Bürokratie für kleine Unternehmen geben soll, hatten im Wahlkampf Union und SPD gleichermaßen gefordert. Die Einigung fiel hier wohl nicht schwer.

Betriebsnachfolge: Hier soll es Unterstützung geben. Was genau, bleibt unklar (348).

Neugründung: Für Gründer soll es einfacher werden. Ein neues Unternehmen soll binnen eines Tages über eine einzige Plattform digital eröffnet werden können (104ff). Frauen sollen stärker bei der Unternehmensgründung gefördert werden. Wie, steht nicht drin (132f).

Unternehmensfinanzierung

Energie: Die Energiepreise sollen sinken, z. B. durch die Abschaffung der Gasspeicherumlage (137f) und die Senkung der Stromsteuer. Für Brenner ist das wohl eine der relevantesten Infos. Beim Strom soll der Preis pro Kilowattstunde dauerhaft um mindestens fünf Cent/kWh sinken (956f). Zum Thema Energie gibt es übrigens recht viel im Koalitionsvertrag: Sollten Sie z. B. selbst Betreiber einer Solaranlage sein, heißt es abwarten. Was das für Sie konkret bedeuten wird, ist noch nicht ganz klar. Hier soll es für Bestandsanlagen „Anreize für eine netz- und systemdienliche Einspeisung“ geben (1026).

Pendlerpauschale: Die wird zum 01.01.2026 auf 38 Cent ab dem ersten Kilometer dauerhaft erhöht (1484f). Bisher: 30 Cent bis zum 20. Kilometer, erst dann 38 Cent. Ein Rechenbeispiel: Ein Kleinbrenner nimmt sich nächstes Jahr 20 Tage Urlaub, ist eine Woche krank und fährt jeden Arbeitstag 10 Kilometer vom Wohnort zur Brennerei – dann sind das rund 180 Euro Steuervorteil. Zumindest für Kleinbrenner wohl kein großer Sprung, weil viele Betrieb und Wohnung am gleichen Ort haben.

E-Fahrzeuge: Hier soll die Kfz-Steuer weiterhin entfallen, dazu soll es Sonderabschreibungsmöglichkeiten geben. Die Dienstwagengrenze soll auf 100.000 Euro erhöht werden. Das gilt allerdings nur für E-Autos (Zeile 203ff).

KMU-Schwelle: Mehr Unternehmen sollen in Zukunft als klein oder mittel gelten. Heißt: Derzeit gilt man nur bis zu gewissen Grenzen als KMU und nur dann kann man sich z. B. für bestimmte Förderungen bewerben. Aktuell sind das: Kleinunternehmen bis 50 Mitarbeiter und bis 10 Mio. € Jahresumsatz, mittlere Unternehmen bis 250 Mitarbeiter, bis 50 Mio. € Umsatz. Beides ist also eher für größere Spirituosenbetriebe relevant, da der überwiegende Teil der Brennereibetriebe deutlich kleiner ist. Heißt aber auch: Mehr Unternehmen, die sich bewerben können, erhöht die Konkurrenz um Fördergelder, sofern die Töpfe nicht vergrößert werden. Hier bräuchte es dann Schutz- oder Ausgleichsmechanismen für ganz kleine Betriebe, denen oft schon die Antragsstellung sehr schwerfällt.

Corona-Hilfen: Das Thema will man schnell abschließen. Ob damals Hilfe zurecht gezahlt wurde oder eine Rückzahlung droht, soll über einer gewissen Summe nur noch stichprobenartig erfolgen (357ff).

Kredite: Ein neuer Deutschlandfonds soll mit mindestens 100 Milliarden Risikokapital zur Verfügung stellen. Zielgruppe: Mittelstand und Scale-ups (111ff). Reguläre Kredite sind damit nicht gemeint. Dass kleine und mittlere Spirituosenunternehmen hier zum Zug kommen, ist unwahrscheinlich. Dass man „Spielräume bei der KfW möglichst haushaltsschonend nutzen“ will (353), klingt erst mal nicht nach einer Investitionsinitiative für KMU.

Mitarbeiter

Mindestlohn: Der soll nächstes Jahr auf 15 Euro steigen, das soll jedoch weiterhin die Mindestlohnkommission festlegen. Ergebnis also offen – zumal sich das gerade zum ersten Zankapfel entwickelt. Für zukunftsorientierte Spirituosenunternehmen sollte das jedoch ohnehin keine große Rolle spielen. Wer in großer Zahl nur zu Mindestlohn beschäftigt, der hat neben dem Recruiting dann noch ganz andere Probleme.

Arbeitszeit: Die Höchstgrenze soll in Zukunft wöchentlich gelten und nicht täglich (558ff). Aktuell sind es regulär 8 Stunden pro Tag. Wahrscheinlich würde die maximale Wochenarbeitszeit in der EU von 48 Stunden beibehalten werden (8 Stunden x 6 Tage von Montag bis Samstag). Es würde jedoch flexibler pro Tag zugehen können, wenn die wöchentliche Gesamtsumme nicht überschritten wird.

Mehrarbeit: Zuschläge dafür sollen steuerfrei möglich sein (569f). Das muss aber noch mit den Sozialpartnern ausverhandelt werden. Heißt: Es wird einige Zeit dauern. Für Angestellte in Teilzeit sollen Prämien vom Unternehmen steuerfrei sein, wenn sie für eine Ausweitung der Arbeitsstunden gezahlt wird (575f).

Saisonarbeiter: Sicher sehr relevant für alle Brenner mit eigener Landwirtschaft, wie z. B. Winzer. Bei der sogenannten „kurzfristigen Beschäftigung“ von Saisonarbeitern soll die Grenze auf 90 Tage steigen (1261f). Bisher liegt diese bei 70 Tagen bzw. 3 Monaten.

Ausländische Fachkräfte: Hier soll es eine „digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung“, Arbeitstitel „Work-and-stay-Agentur“, geben. So soll auch die Anerkennung von Abschlüssen schneller gehen (419ff). Hürden für Geflüchtete bei der Aufnahme einer Arbeit sollen abgebaut, Arbeitsverbote auf maximal drei Monate reduziert werden (436f). Aber: Ob eine Fachkraft aus dem Ausland sich vorstellen kann, z. B. in einem mittleren Spirituosenunternehmen auf dem Land zu arbeiten, hängt maßgeblich auch davon ab, ob sie sich dort willkommen fühlt. Und da spricht der Koalitionsvertrag eine recht deutliche Sprache. Aus dem im Wahlkampf verfestigten Migrations-Framing wieder herauszukommen, wird für die Betriebe und Leute vor Ort nicht einfach. Denn die müssen ja mit den Menschen sprechen, damit sie zu ihnen kommen.

Arbeitsbedingungen: Für Menschen, die in der Produktion in Brennereien arbeiten, steht nicht viel im Vertrag: „Wir sorgen für gute Arbeitsbedingungen für körperlich stark belastete Berufsgruppen“ (485)

A1-Bescheinigung: Wer im Ausland arbeitet oder auch nur eine kurze Dienstreise dahin macht, braucht diese Bescheinigung über die eigene Sozialversicherung. Der Aufwand für die Unternehmen, diese für ihre Angestellten oder sich selbst als Unternehmer zu beantragen, soll weiter vereinfacht werden (498).

Verkauf und Export

Gastro: Die Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie wird zum 01.01.2026 dauerhaft auf sieben Prozent reduziert (1498f). Heißt: Hier gibt es wieder etwas mehr Luft für Restaurants, Bars und Co. Da Lohnkosten weiterhin hoch bleiben oder steigen (Stichwort: Mindestlohn), die Laune nach teuren Restaurantbesuchen in wirtschaftlich unsicheren Zeiten in der Regel aber nicht, ist auch die reduzierte Mehrwertsteuer für die Gastro kein Befreiungsschlag. Die Bereitschaft der Wirte, deswegen wieder mehr Geld für hochwertig produzierte Craft Spirits auszugeben, wird das wahrscheinlich nicht erhöhen. Beim Marketing ausruhen können sich Produzenten also nicht.

Werbeverbote: Im letzten Koalitionsvertrag standen Werbeverbote für Alkohol noch drin. Da die FDP das trotz Vertrag blockierte, wurde aber nichts draus. Union und SPD haben jetzt ganz darauf verzichtet. „Verbraucherinnen und Verbraucher sollen selbstbestimmt entscheiden können“ (1286f). Das ist der zweite Satz zum Thema Verbraucherschutz. Zuvor ist beim Thema Ernährung schon einmal vom „selbstbestimmten Verbraucher“ die Rede (1183). Nach mehr Regulierung klingt das nicht. Wer jetzt aufatmet und sich zurücklehnt, der hat den Schuss jedoch nicht gehört. Allein schon aus Gründen von Verbrauchererwartung und geänderten Sichtweisen auf Spirituosen und Co. sollten sich Brenner in Sachen Marketing mit der Ambivalenz von alkoholischen Getränken beschäftigen. Edelbrände sind Nervengift und Kulturgut gleichermaßen. Wer das nicht undogmatisch zusammenbekommt, kriegt jetzt schon oft Probleme in der Kundenkommunikation.

Verpackung: Die Koalition will § 21 Verpackungsgesetz reformieren und verspricht mehr Praktikabilität bei der EU-Verpackungsverordnung (1220f). Hersteller müssen an Systembetreiber wie Grüner Punkt oder Lizenzero Gebühren für die Entsorgung ihrer Verpackungen zahlen, das gilt z. B. auch für die Glasflaschen von Kleinbrennern. § 21 VerpackG regelt, dass es weniger Gebühren sind, je umweltfreundlicher eine Verpackung ist. Was genau nun „recyclingfreundlich“ heißt, ist bislang in vielen Fällen unklar. Hier soll es in Zukunft offensichtlich mehr Transparenz geben. Viel wichtiger für die Praxis der Brennereien wird jedoch sein, was genau die Koalitionäre unter „Praktikabilität“ im Sinne der EU-Verordnung verstehen.

Hofverkauf: In Zukunft soll „mindestens eine digitale Zahlungsoption“ Pflicht werden. Das soll schrittweise eingeführt werden (1579f). Viele Kleinbrenner verwenden auch im Vor-Ort-Verkauf (Hofladen, Märkte, Messen, …) schon Zahlungsanbieter wie Sumup oder Payone. Kunden können so direkt per Karte oder mit dem Smartphone bezahlen. Wer hier bislang nur Bargeld entgegennimmt, sollte spätestens jetzt umstellen – und idealerweise gleich mit seiner Buchhaltungssoftware oder besser noch seinem Warenwirtschaftssystem verknüpfen.

Bons und Kassen: Die Bonpflicht wird wieder abgeschafft (1921). Heißt: Nur wenn Kunden eine Quittung haben wollen, müssen Unternehmen diese ausstellen. Wer zum Beispiel auf einem Weihnachtsmarkt eine Likör-Miniatur nach der anderen für die Adventskalender per Sumup und Co. verkauft, muss nicht mehr zwingend Bons drucken oder per Mail verschicken. Für Geschäfte mit einem jährlichen Umsatz von über 100.000 Euro soll es aber ab dem 01.01.2027 eine Registrierkassenpflicht geben (1921f).

Paketversand: Pakete, die mehr als 20 kg wiegen, müssen seit Juli 2024 mit zwei Personen oder Transporthilfe ausgeliefert werden – und von jedem als „schwer“ gekennzeichnet („über 10 kg“ und „über 20 kg“). Im Zuge des neuen Postgesetzes hatte z. B. DHL Mitte vergangenen Jahres schon das neue 20-kg-Paket eingeführt. Derzeit sind dort Pakete bis 31,5 kg möglich. Mit 18 Flaschen (3 Cases) à 0,5 Liter bei einer etwas schweren Flasche (z. B. 600 Gramm mit dickerem Glasboden) kommt man allerdings schnell über die 20 kg. Die Koalition bekennt sich nun zu dieser Grenze (315). Geklärt werden muss noch, was eine Technikhilfe ist, ggf. stehen hier Preissteigerungen in der Branche zur Debatte. DHL hatte deswegen das 31,5-kg-Porto bereits erhöht. Zeithorizont: Die Regierung will mit Post und Gewerkschaften bis Mitte nächstes Jahr drüber sprechen, wie das final umgesetzt werden soll (317).

Einfuhrumsatzsteuer: Diese soll auf ein Verrechnungsmodell umgestellt werden (347). Das wäre ein echter Befreiungsschlag für die Brennereien, die z. B. Rohstoffe, Fässer oder Verpackungen aus dem Ausland importieren. Bisher wird die Einfuhrumsatzsteuer nämlich sofort fällig, das belastet die Liquidität. So müsste die Steuer nicht mehr beim Import bezahlt, sondern stattdessen nur in der Umsatzsteuervoranmeldung angegeben werden. Das Finanzamt verrechnet dann alles.

Genehmigungen: Wer ins Ausland verkauft, kann sich freuen: Statt „durchgängiger Prüfungen“ soll es stichprobenartige Kontrollen geben. Vorherige Exportgenehmigungen sind nicht mehr nötig. Aber: Weniger kompliziert wird es wohl nicht. Wer gegen Vorschriften verstößt, wird noch härter bestraft. Weil nur noch stichprobenartig kontrolliert wird, soll es aber schneller gehen (290ff).

Einzelhandel: Den will die Koalition stärken. Hier liegt der Fokus darauf, Billig-Schrott à la Temu und Shein aus China stärker zu regulieren (371ff). Das betrifft die Spirituosenbranche wohl eher nicht.

Wettbewerbsfähigkeit: Bei der Gewerbesteuer soll der Mindest-Hebesatz erhöht werden – von derzeit 200 auf 280 Prozent (1456). Das betrifft aber nur eine Handvoll von Gemeinden. 2024 waren es in Deutschland im Durchschnitt sowieso schon 437 Prozent. Interessanter wird zu beobachten sein, was die Koalition gegen Scheinsitze von Unternehmen in günstigeren Gemeinden macht. Angehen will man das (1450ff).

Investitionen und Produktion

Agrardiesel: Die Agrardiesel-Rückvergütung soll vollständig zurückkommen (1403 und 1505). Nach den aggressiven Trecker-Demos im Januar 2024 geht es den Koalitionären da wohl auch um Ruhe im System. Außerdem bekommt jeder der drei Koalitionäre offensichtlich auch mindestens ein Geschenk für seine Zielgruppen.

Verfahrensdauer: Wer etwas beim Amt beantragt, Stichwort Steuerlager, der muss oft sehr lange warten, bis er loslegen kann. Die Koalition will jetzt mit der Genehmigungsfiktion ran. Genehmigungen, die nur Fiktion sind, haben viele Brenner zwar schon jetzt, gemeint ist aber etwas anderes. Rechtlich beschreibt der Begriff folgendes: Wenn eine Behörde nicht rechtzeitig auf einen Antrag reagiert, gilt dieser Antrag nach einer bestimmten Frist automatisch als genehmigt. Die Koalition will, dass diese Regel häufiger Anwendung findet, denn zukünftig muss sie sonst in einzelnen Bereichen per Spezialgesetz ausgeschlossen werden. Bisher ist es andersrum der Fall (342ff).

Obstanbau: Das „Obst-, Gemüse- und Weinbau“ eine eigene Überschrift erhalten hat, ist schon ein Wert an sich. In Deutschland soll nach dem Willen der Koalitionäre mehr Obst angebaut werden (1257). Auf der Wunschliste der Koalition unter anderem: ein „Kulturlandschaftsprogramm zum Erhalt besonders sensibler Kulturlandschaften“ (1368). Das hört sich schon auch nach Streuobstwiese an. Wermutstropfen: Zunächst wird nur geprüft. Ob das also kommt, hängt wie bei allen Dingen am Geld. Priorität hat es sicher nicht.

Fördermittel für den Anbau: Hier soll es „deutlich“ mehr geben (1362ff). Vor allem soll es wohl unbürokratischer werden bei Förderungen unter dem Dach der GAK (Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz). Bisher ist der Aufwand hoch, oft gibt es lange Genehmigungsfristen. Zudem bereiten unklare Zuständigkeiten Probleme (u. a. Bund vs. Länder).

Widerstandsfähige Sorten: Explizit Erwähnung findet dazu das „Maßnahmenpaket Zukunft Gartenbau“, das fortgesetzt werden soll (1258). Da geht es aber weniger um direkte Förderung von Obstbauern, sondern mehr um Forschungsvorhaben, wie z. B. die Züchtung neuer, mehrfach resistenter Obstsorten.

Wein: Hier soll unter anderem „die Arbeitsfähigkeit der Schutzgemeinschaften im Weinsektor sichergestellt werden“ (1260f). Hintergrund: Seit 2021 haben die Schutzgemeinschaften mehr Aufgaben bekommen, aber nicht auch Geld und Personal. Das soll sich offenbar ändern.

Und nun?

1. Zuversichtlich sein, aber nicht naiv

Natürlich ist ein Koalitionsvertrag immer ein Kompromiss, das liegt in seiner Natur. Im Gegensatz zu vielen anderen Sektoren (Klima, Soziales, Familie, Kultur etc.) hat „die Wirtschaft“ aber ziemlich gut abgeschnitten. Unternehmerinnen und Unternehmer dürfen sich zumindest aus ihrer beruflichen Sicht durchaus freuen. Aber: Bislang ist nichts in trockenen Tüchern. Da jedes Einzelvorhaben auch unter Finanzierungsvorbehalt steht, ist aufmerksame Beobachtung unternehmerische Pflicht. Und Sie als Brenner Erleichterungen spüren, wird es dauern. Darauf sollten Sie sich auch nicht verlassen.

2. Mutig sein, aber nicht übermütig

Wenn es Zeit für Veränderungen in der eigenen Brennerei ist, dann jetzt. Da gibt es auch im Koalitionsvertrag verschiedene Ansatzpunkte, von Anschaffungen über Digitalisierung bis zu Reduzierung von Verpackung. Weniger wichtig und nicht praktikabel: Alle Punkte gleichzeitig anzugehen. Sehr wichtig dagegen: Überhaupt mal starten. Und zwar jetzt. Ganz unabhängig davon, was im Konkreten aus den Vertragsvorhaben wird.

Autor:in
Christian Schrade
Christian Schrade ist Kommunikationsexperte und Inhaber der Idea Distillers. Zusammen mit seinem Co-Gründer Simon Weiß berät er seit mehr als 10 Jahren die Hersteller von Premium Spirits in Sachen Marketing. Mehr unter idea-distillers.de
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